30 Nov 2018

EPI 008 Gore Motel A/B, 1995


...beim letztwöchigen Sortieren des vergammelten Pappkartons, den wir intern auch gelegentlich als "Das Archiv" bezeichnen, fiel mir etwas in die Hand, an das ich eigentlich nicht allzu gerne hätte erinnert werden wollen:




Es handelte sich, wie auf obigem Bild sehr gut zu erkennen ist, um eine Testpressung des Albums "Gore Motel" von Bohren und der Club of Gore.  Allerdings, wie ebenfalls aber nicht ganz so gut erkennbar ist, nur um deren A-und B-Seite. Der dazu komplementäre, zweite Teil der Doppel-LP mit der C-und D-Seite wurde unlängst im Internet der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt, wobei hier Fragen offen bleiben: Fragen derart in welchem Internet das exakt war, wer genau Anbieter war und wo der/die/das die Platte überhaupt her hatte. Doch nicht etwa wirklich von einem "Freund der Band", wie Worte in englischer Sprache suggerierten, oder etwa doch? Und vor allem: wäre genau diese Pressung dann mit der oben abgebildeten A-und B-Seite eigentlich wirklich komplett?

Die Vinyl-Version des Albums "Gore Motel" wurde, wie man sich gegebenenfalls erinnern können wird, nach überlanger Ankündigungsphase im Jahre 2005 in Form einer Doppel-LP veröffentlicht. Ursprünglich sollte dieses Produkt jedoch schon im Herbst des Jahres 1995 längst veröffentlicht und erhältlich gewesen sein, um dann im Sog der CD-Veröffentlichung mit unterzugehen. Eine Überspielung war auch schon bei Pauler Acoustics in Northeim in Auftrag gegeben und die Testpressungen bei Memphis in Erftstadt-Liblar bestellt worden (übrigens ganz in der Nähe eines Hochhauses, in dem seinerzeit Hanns-Martin Schleier seine letzten Tage als Gefangener der RAF in einem Schrank verbrachte). Es gab nun aber viel zu langes Überlegen hinsichtlich des zu realisierenden Coverformates. Sollte es nun ein einfaches Cover mit 5mm-Rücken oder vielleicht ein Klappcover werden, oder gar eine Box? Es wurde eine Box, denn es war ja auch eine Überspielung einer der Doppel-LP noch beizulegenden 7" beauftragt worden. Diese enthielt zwei Titel des ersten Bohren Demos ("Bohren 1992") in Gestalt von "crevasse" und "abattoir" und auch einen Track vom zweiten Demo ("Samba, Luder und Tavernen"), nämlich "Nicolette, die Queen von Soho", und dann auch noch einen weiteren Titel von letzterem Demo, an dessen genauen Namen ich mich allerdings momentan nicht zu erinnern vermag.
Auch von dieser 7" wurden Anpressungen gefertigt, eine sollten entweder die Band oder Mark Sikora noch haben, eines wurde vermutlich einem befreundeten DJ zur möglichen Promotion welcher Art auch immer oder auch vielleicht sogar Heyer selber übergeben und das dritte Exemplar hatte ich vorhin sogar in der Hand:





Die Memphis Testpressungen erwiesen sich leider als nicht besonders gut; zu häufig knisterte und knackte es trotz der recht teuren aber zugrundeliegenden DMM-Mutter von Günther Pauler. Während wir also noch überlegten, ob denn die finale Pressung auf Memphis vielleicht wie durch ein Wunder besser klingen würde, als die vorliegende Anpressung, versuchten wir krampfhaft irgendwoher LP Boxen aufzutreiben. Was in den neunziger Jahren ein etwas zeitintensives Unterfangen war, denn schliesslich war erst einige Zeit zuvor der Untergang der Schallplatte verkündet und vertriebsseitig auch schon länger konsequent umgesetzt worden. Noch etwas mehr Zeit in Anspruch nahm dann die Beprägung der Boxen mit dem simplen Schriftzug "BOHREN" durch einen kurz vor der Arbeitslosigkeit stehenden ausgelernten Buchbinder. Und zwar soviel Zeit, dass das Presswerk Memphis Records ohne unser Zutun und Wissen in aller Ruhe Konkurs anmelden konnte oder vielmehr musste. Opfer dieser Pleite waren unter anderem die DMM-Mütter der GO! Existence LP, einiger Singles und die Matrizen der besagten Doppel LP mitsamt ihrer Bonus 7". Daddy Memphis irrte dann zwar noch einmal durch seine schon fast leergeräumten Produktionshallen, fand aber nur noch einige für anderer Schallplattenresswerke Maschinen unbrauchbare Pressväter der BOHREN / WALD split 7" und einige Dutzend Cover der GO! LP. Der Rest der Werkzeuge liegt wohl heute noch auf irgendeiner linksrheinischen Deponie oder unter einem Kinderspielplatz in Rumänien.




 


Wie nun oben zu erkennen ist, gab es bei Memphis schon vor dieser Zeit weder Etiketten für 7" noch B-Seiten Etiketten für LP mehr. Die fertig beprägten Boxen und die schon gedruckten Beilagen von Stefan Heyer (Heyer) und Felix Weber (Schlockmaster) sowie Abzüge eines Textes, den der in diesem Jahrzehnt viel zu früh verstorbene Martin Büsser (Testcard) für die "LP Version von Gore Motel" verfasst hatte und eine xerographierte Grafik von Jörg Follert (Wunder) mussten dann für längere Zeit - gut verpackt in Plastikfolie - auf dem Dachboden einer Verwandten des Label-Managers zwischengeparkt werden. Um die Jahreswende 2003/2004 herum war dann das Budget beisammen, um einen zweiten Versuch der Überspielung diesmal über die Schallplatten Schneidtechnik GmbH (SST) in Frankfurt zu wagen. Diesem fiel nun wiederum das Konzept "mit Bonus 7" EP" zum Opfer, da das DAT-Masterband nicht mehr aufgefunden werden konnte. Als es dann endlich wieder auftauchte, war die Box schon ausverkauft. Es wäre natürlich eine Überlegung wert gewesen, das ursprünglich geplante Konzept dann doch noch einmal für die Nachauflage der Gore Motel LP umzusetzen. Allerdings wurde diese Überlegung nie angestellt.


eure tante epistrophy